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Der eritreische Nationaldienst – staatliche Sklaverei

von Katharina Müller-Herrenschwand

„Die Bedingungen auf der Plantage waren hart. Die Arbeiter bekamen nicht genug zu essen. Es gab viele Krankheiten wegen der schlechten Nahrung und der schlechten Hygiene. Arbeiter wurden geprügelt und mussten besonders harte Arbeit verrichten, wenn sie sich schlecht benahmen, die Arbeit verweigerten oder Befehle missachteten. Die medizinische Versorgung ist sehr rudimentär und ungenügend. Die Bewegungsfreiheit ist massiv eingeschränkt, und die Aufseher hindern die Zwangsarbeiter daran, irgendwo hinzugehen, sogar wenn sie krank sind. Die Arbeiter bekommen kaum je Urlaub. Sie werden gezwungen, zu bleiben und Überstunden zu machen.“1
Was sich auf den ersten Blick liest wie ein Bericht von einer Südstaatenplantage im frühen 19. Jahrhundert, spielt sich in Wahrheit im 21. Jahrhundert in Eritrea ab. Die Sklaven werden nicht gekauft und verkauft, sondern sie werden vom Staat in den sogenannten Nationaldienst eingezogen. Ihre Arbeitsbedingungen erfüllen alle Merkmale von Versklavung. Der UNO Bericht braucht denn auch explizit den Begriff „enslavement“2 im Zusammenhang mit dem Nationaldienst, während Amnesty International den Tatbestand als „forced labour“ bezeichnet3. Auch das SEM erwähnt an einer Stelle: „Die Arbeit im zivilen Nationaldienst wird oft als Zwangsarbeit kritisiert.“4 Es vermeidet mit dieser Formulierung eine eindeutige Stellungnahme.
Frauen werden im Nationaldienst von ihren Vorgesetzten auch als Haussklavinnen missbraucht. „Das schreckliche Leben fängt am Morgen an: Ich bereite das Frühstück zu, wasche seine Kleider, koche das Mittagessen, bereite die Kaffeezeremonie vor, koche Abendessen und bereite mich nachher vor, um seine Frau zu sein. Ich musste dieses Leben die letzten sechs Jahre führen.“5
Dr. Daniel Mekonnen, der im Exil lebende eritreische Menschenrechtsanwalt, bringt die Situation in seiner Heimat auf den Punkt, wenn er sagt, dass man mit 18 zum Staatseigentum und die Frau zur Sexsklavin ihres Vorgesetzten wird.“6

Die Bedingungen im eritreischen Nationaldienst erfüllen auch laut UNO Bericht ausser dem Kauf und Verkauf auf dem offenen Markt alle Kriterien von Sklaverei.7
a) UnbestimmterechtlicheGrundlagedesNationaldienstprogramms
b) Willkürliche und zeitlich unbeschränkte Dauer der Wehrpflicht, normalerweise Jahre länger als die im Dekret von 1995 vorgesehenen 18 Monate
c) UnfreiwilligeArtderDienstleistungüberdiegesetzlichen18Monatehinaus
d) Zwangsarbeit inklusive Knechtschaft zum persönlichen Nutzen von PFDJ kontrollierten und staatlichen Interessen
e) EinschränkungderBewegungsfreiheit
f) Unmenschliche Bedingungen, Anwendung von Folter und sexueller Gewalt
g) ExtremeZwangsmassnahmenzurFluchtverhinderung
h) Bestrafung im Fall von Desertion ohne administrative oder juristische Verfahren
i) Einschränkungen in allen religiösen Belangen
j) Katastrophale Auswirkungen des langjährigen Dienstes auf Glaubensfreiheit, persönliche Möglichkeiten, Freundschaften und Familienleben
Während der UNO-Bericht die Sklaverei im Nationaldienst auf 11 Seiten von allen Blickwinkeln aus beleuchtet und Amnesty International den ganzen bereits erwähnten Bericht der Tatsache widmet, dass Eritreer systematisch versklavt werden, konzentrieren sich die Migrationsbehörden unseres Landes („wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod als in der Knechtschaft leben“)8 darauf, mit welchen juristischen Spitzfindigkeiten sie diese unter Lebensgefahr der Sklaverei entronnenen Menschen abschieben und wieder in ihre Heimat zurückschicken können. Der Gipfel des Zynismus ist die zweiseitige Erläuterung, welche Schritte ein*e Eritreer*in unternehmen muss, damit er/sie im Falle einer „freiwilligen Rückkehr“ in die Sklaverei zurückkehren kann: Kontaktaufnahme zur eritreischen Vertretung in der Schweiz, Beantragung eines eritreischen Reisepasses, Bezahlung der 2%-Steuer, Unterzeichnung des „Reueformulars“ („I confirm, that I regret having committed an offence by not completing the national service and am ready to accept appropriate punishment in due course.“)9

Im gleichen Bericht10 erläutert das SEM, dass sich die Verhältnisse in Eritrea geringfügig zum Bessern gewendet hätten, obwohl immer gleich wieder relativiert wird. Beispiele:

  • An der Grenze wird nicht systematisch auf illegale Ausreisende geschossen, Schüsse können aber vorkommen.
  • Deserteur*innen: Ihre Kommandanten verhängen Strafen aussergerichtlich, es gibt keine Rekursmöglichkeiten. Allerdings sollen die Strafen in den letzten Jahren weniger streng geworden sein.
  • Nationaldienst: Der Dienst ist weiterhin zeitlich unbefristet und dauert mehrere Jahre. Dennoch wurden offenbar in den letzten Jahren vermehrt Personen aus dem zivilen Nationaldienst entlassen.

Die Aussagen im Bericht des SEM klingen so, als wären die „weniger strengen“ Bedingungen, unter denen die Mehrheit der Eritreer*innen lebt und die den Ausschlag für die Flucht geben, gar nicht so schlimm. Aber über alles gesehen unterscheiden sich die massgeblichen Aussagen des SEM nicht wesentlich von denen von Amnesty oder vom UNO-Bericht. Die Verschärfungen sind deshalb nicht nachvollziehbar.
Im „Länderfokus Eritrea“, den das SEM erstellt hat und den es regelmässig aktualisiert, lesen wir zum Nationaldienst: „Die Proklamation 11/1991, welche die erste gesetzliche Grundlage des Nationaldienstes darstellt, sah ursprünglich zahlreiche Freistellungen vor. Sie wurde 1995 durch die Proklamation 82 ersetzt, gemäss welcher alle Eritreer zwischen 18 und 40 Jahren dienstpflichtig sind und bis zum 50. Lebensjahr der Reservearmee angehören.“11 Das SEM passt seine Asylpraxis insofern an, als dass „Personen, welche noch nie für den Nationaldienst aufgeboten worden sind, […] neu nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden.“12 Diese Regelung ist nicht mehr als eine juristische Spitzfindigkeit, damit die Schweiz mehr Personen aus Eritrea abschieben kann. Wenn alle Eritreer*innen dienstpflichtig sind, dann werden es auch die minderjährigen Asylsuchenden werden, wenn sie dereinst das 18. Altersjahr erreicht haben.
Sowohl Amnesty und der UNO-Bericht wie auch namhafte Journalist*innen und Kenner*innen der Verhältnisse, wie Patrick Kingsley13 oder David Bozzini14, beschreiben den Nationaldienst als de facto Versklavung der Bevölkerung. Also ist Flucht vor diesem Dienst Entkommen aus der Sklaverei und nicht Desertion aus einer gewöhnlichen Armee, welche das SEM seit der Revision der Asylgesetzgebung im September 2012, welche die Schweizer Bevölkerung gutgeheissen und in deren Zuge auch das Botschaftsasyl abgeschafft worden ist, nicht mehr als Asylgrund anerkennen will.

Zudem stehen die Entscheidungsgrundlagen, nicht nur jene der Schweiz, auf ziemlich unsicherem Grund. In der etwas mehr als eine Seite umfassenden Kernaussage zur Situation in Eritrea tauchen nicht weniger als zwölf Mal Vorbehalte oder Unsicherheiten in Bezug auf die gemachten Aussagen auf. Sind da die Kenntnisse des SEM nicht allzu dürftig, als dass es sich immer wieder in dubio contra reo entscheidet?


1 Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8. Juni 2016, S. 53, Absatz 211. (Übersetzung durch Verfasserin)
2 Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8. Juni 2016, Kapitel C. Crimes against humanity in Eritrea, Punkt 2. Enlavement.
3 „Just deserters: Why Indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees“ vom Dezember 2015
4 EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen. Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S.39f.
5 Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8. Juni 2016, S. 56, Absatz 226. (Übersetzung durch Verfasserin)
6 Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 07.08.2016.
7 Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8. Juni 2016, S. 56, Absatz 223.
8 Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, 2. Aufzug, 2. Szene.
9 Focus Eritrea. Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.06.2016, S. 29ff.
10 Kernaussage, S. 5-6.
11 EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen. Länderfokus Eritrea, S. 33. 12 EJPD Faktenblatt Eritrea vom 23. Juni 2016, S. 2.
13 Im „The Guardian“ vom 8. Juni 2016.
14 Im „Tagesanzeiger“ vom 03.08.2015.

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