von Yvonne Meyer
Nach 50 Jahren italienischer Kolonialherrschaft und einem 30jährigen Befreiungs-krieg erlangte Eritrea am 24. Mai 1993 endlich seine Unabhängigkeit von Äthiopien. Der Krieg hatte 60’000 Todesopfer gefordert. 750’000 Eritreer*innen flüchteten indes in die benachbarten Länder (Sudan, Äthiopien) sowie nach Europa und in die USA.
Die anfängliche Euphorie über die neuerlangte Souveränität des Landes wurde schnell gedämpft, denn seit dem Tag der Unabhängigkeit regiert Isayas Afewerki, der Mitbegründer der marxistischen Eritrean People’s Liberation Front (EPLF), aus der die heutige PFDJ (People’s Front for Democracy and Justice) hervorging, das Land auf autokratische Weise. Einen Teil seiner militärischen Ausbildung erhielt er in China. Afewerki missachtet die staatliche Gewaltenteilung und grundlegende rechts-staatliche Prinzipien. Die marxistische Bewegung PFDJ ist die einzige zugelassene politische Partei in Eritrea, was das Land zu einem Einparteienstaat macht. 1997 wurde über den Entwurf einer Verfassung diskutiert, die aber bis heute nicht in Kraft gesetzt wurde.
Seit dem Grenzkrieg mit Äthiopien von 1998–2000 hat die Militarisierung Eritreas zugenommen. Das Afewerki-Regime gehört zu den weltweit schlimmsten Unter-drückern von Menschenrechten:
- kein Recht auf Militärdienstverweigerung, auch nicht aus religiösen Gründen
- keine Meinungsfreiheit
- keine Pressefreiheit
- keine Religionsfreiheit
- keine Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Am 18. September 2001 wurden alle unabhängigen Zeitungen geschlossen und 16 Journalisten verhaftet. Sie befinden sich in Incommunicado-Haft, ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und ohne Kontakt zu ihren Angehörigen. Darunter sind:
1. Der schwedisch / eritreische Journalist Dawit Isaak
Isayas Afewerki sagte in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen am 26. Mai 2009: “Es wird kein Gerichtsverfahren geben und wir werden ihn auch nicht freilassen. Wir wissen, wie man mit so jemandem umgehen muss. Schweden ist für mich ohne Bedeutung. Die schwedische Regierung hat nichts mit uns zu tun.”
2. Der Journalist Seyoum Tsehaye
Unter den vielen Gefangenen sind auch ehemalige ranghohe PFDJ-Mitglieder. Die sogenannte G15 hatte im September 2001 in einem offenen Brief Reformen und einen demokratischen Dialog gefordert.
In Eritrea sind vier Religionen akzeptiert: der sunnitische Islam, die orthodoxe Tewahedo-Kirche sowie die lutherische und die katholische Kirche. Andere Glaubensgemeinschaften werden nicht anerkannt und es wird ihnen die Ausübung ihres Glaubens verwehrt, wie zum Beispiel der eritreischen Gospelsängerin Helen Berhane: Sie ist Angehörige der Pfingstmission. Aus diesem Grund verbrachte sie 2,5 Jahre im Gefängnis. Sie wurde unbeschreiblich gequält und fast zu Tode geprügelt. Wie durch ein Wunder gelang ihr schliesslich die Flucht. Sie lebt heute in Dänemark.
Amnesty International schätzt, dass gegenwärtig zwischen 5000 und 10’000 Menschen inhaftiert sind.
Die Gründe, warum jemand verhaftet wird, sind vielfältig:
- Wehrdienstverweigerung
- illegales Verlassen des Landes (sog. Republikflucht)
- Kritik am Regime
- Zugehörigkeit zu einer nicht zugelassenen religiösen oder politischen Gruppierung
schlicht Willkür
Wie in der ehemaligen DDR ist auch in Eritrea die Gefahr gross, dass man aus einem der oben genannten Gründen denunziert wird. Deshalb herrscht ein Klima von Angst und Misstrauen, welches zuweilen bis in die Familien hineinreicht.
Die Haftbedingungen in Eritrea sind menschenunwürdig. Es gibt schätzungsweise 200 Hafteinrichtungen in unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern. Viele der Gefängnisse befinden sich in der Wüste, sodass die Häftlinge extremer Hitze und Kälte ausgesetzt sind. Tageslicht, eine ausreichende Menge an Nahrung und Wasser, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung werden den Inhaftierten vorenthalten. Die Menschen werden gedemütigt, misshandelt und grausam gefoltert.
Gefangene werden über längere Zeiträume hinweg in schmerz-haften Positionen gefesselt und dabei der Sonne ausgesetzt, geschlagen und gezwungen, barfuss über scharfkantige Steine zu laufen oder nackt darüber zu rollen. Frauen werden Opfer von sexueller Gewalt. Viele Todesfälle sind durch diese Haftbedingungen begründet. In der Regel werden die Angehörigen nicht über den Verbleib oder gar den Tod ihrer Familienmitglieder informiert. Aus diesem Grund leben sie in grosser Unsicherheit über Aufenthaltsort und Gesundheitszustand ihrer Lieben.
Eiraeiro ist eines der berüchtigtsten Gefängnisse, wo vermutlich viele politische Häftlinge, darunter auch Journalisten, einsitzen. Die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ hat vor Jahren einen detaillierten Report über Eiraeiro publiziert. Das Straflager liegt zwischen der Hauptstadt Asmara und der Rotmeerküste, inmitten einer Wüste, fernab der Zivilisation. Ein ehemaliger Aufseher, dessen Name nicht genannt werden kann, beschreibt in dem Report minutiös die ausgeklügelten Sicherheitsvorkehrungen sowie die Lebensbedingungen der Inhaftierten von Eiraeiro: „In den fensterlosen Zellen brennt Tag und Nacht Licht. Und die Gefangenen befinden sich in Einzelhaft. Manche werden gefesselt an Händen oder Füßen. Andere nicht. Wenn sie nicht in ihren Zellen eingeschlossen sind, dann werden sie in einen der drei Verhörräume gebracht. Die Verhöre werden in der Regel von Abdulla Jaber geführt, dem Sicherheitschef der Regierungspartei, oder von Führungskadern wie Yemane Gebreab, dem Berater von Präsident Afewerki.“
Hier ein Ausschnitt eines Interviews mit diesem persönlichen Berater, Yemane Gebraeb: Der Journalist erwähnte die Inhaftierung der G15 und der Journalisten im Jahr 2001. Die meisten von ihnen wurden in Eiraeiro eingekerkert. Dort sitzen sie offenbar noch heute, seit fast 15 Jahren in Einzelhaft und ohne je dem Haftrichter vorgeführt worden zu sein.
Gebreab: „Das sind Leute, Militärs, die zum Höhepunkt des Krieges mit unserem Feind Äthiopien konspiriert haben. Und deren Verrat führte zum Tod mehrerer 1000 Eritreer.“
Ramme: „Und die Journalisten?“
G.: „Die waren Teil der Gruppe und haben mit denen unter einer Decke gesteckt.“
R.: „Wurde ihnen jemals der Prozess gemacht?“
G.: „Wir haben das auf unsere Art geregelt!“
R.: „Wie sieht diese Art aus?“
G.: „Es gab einen internen Prozess, in dem wir das abgewogen haben!“
R.: „Hatten die Beschuldigten einen Anwalt zum Beispiel?“
G.: „Nein!“
Yemane Gebraeb auf die Frage nach dem Journalisten Seyoum Tsehaye: „Wir wissen nicht, wie es ihm geht“
Ramme: „Denken wir mal an die Angehörigen – was wissen die?“
G.: „Die wissen das!“
R.: „Die sind informiert, was mit den Gefangenen los ist?“
G.: „Die kennen uns, die kennen unsere Bewegung. Und was gesagt werden musste über die Gefangenen ist der Bevölkerung mitgeteilt worden. So handhaben wir das.“
Aber die Nichte von Seyoum Tsehaye, Vanessa Berhe, gibt an:
„Wir haben überhaupt nichts gehört – keine offizielle Stellungnahme. Wir können nur raten. Wir wissen nicht, wie es ihm geht. Uns bleiben eigentlich nur die Erinnerungen an ihn.“
„Vielleicht wird eines Tages sein Leichnam vor uns liegen – aber egal, wir kämpfen weiter, es geht nicht nur um Seyoum. Wäre er tot, das wäre für unsere Familie eine Tragödie. Aber wir machen weiter, auch nach seinem Tod, denn die Menschen-rechtsverbrechen in Eritrea richten sich ja nicht nur gegen ihn.“
Vanessa Berhe ist Aktivistin. Ihre Internet-Kampagne heisst One Day Seyoum. Sie will auf die Geschichte ihres Onkels und auf alle anderen politischen Gefangenen in Eritrea aufmerksam machen. Ihrem Onkel ist sie nie begegnet – zu lange sitzt er schon in Eiraeiro ein.
Verweise:
http://www.emw-d.de/publikationen/publikationen.emw/shop.emw.11/index.html
https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/eritrea/dok/2013/20-jahre-repression
http://www.faz.net/aktuell/politik/eritrea-das-afrikanische-nordkorea-12895245.html
http://www.deutschlandfunk.de/politische-gefangene-in-eritrea-ohne-richter-und-ohne-urteil.1773.de.html?dram%3Aarticle_id=360054
https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_Eritreas
Weitere Hinweise:
Aster Yohannes ist seit 2003 in einem geheimen Gefängnis: https://en.wikipedia.org/wiki/Aster_Yohannes
Petros Solomon ist seit 2001 in Isolationshaft: https://en.wikipedia.org/wiki/Petros_Solomon
„Es ist ein Regime, nicht eine Regierung in Eritrea“.
Meaza Petros Solomonihr jüngstes Kind Meaza Petros, und ihre Großmutter Mezgeb Mengistu erzählen https://www.youtube.com/watch?v=_W06lkIHOSc
Glaubwürdige Quellen sagen, dass Schriftsteller und Journalist Fessehaye „Joshua“ Yohannes am 11. Januar 2007 in der Haft gestorben ist. Joshua starb laut Berichten wegen den extrem harten Bedingungen, unter denen er seit seiner Festnahme im September 2001 gelitten habe „Dieses Regime ist für das Verschwinden und die Inhaftierung der besten seiner Bürger verantwortlich,“ sagte “Reporter ohne Grenzen”.
https://rsf.org/en/news/sources-say-writer-and-journalist-fessehaye-joshua-yohannes-has-died-detention
Aster Fissehatsion wird seit September 2001 ohne Anklage oder Gerichtsverfahren und ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft gehalten. Sie war gemeinsam mit zehn weiteren Personen festgenommen worden, die alle der regierungskritischen „G-15-Gruppe“ angehörten. Unter den Festgenommenen befand sich auch ihr früherer Ehemann, der einstige Vize-Präsident von Eritrea, Mahmoud Ahmed Sheriffo.
http://www.amnesty-soest.de/briefe/2015/04eritrea.html
Viele Christen und Muslime wurden vor Jahren verhaftet und eingesperrt, weil sie Reformen forderten oder einem Glauben angehörten, den das Regime nicht erlaubt, z.B. Jehovas Zeugen, Pfingstmission usw.
Hier ein interessanter Bericht von Dr. Daniel Rezene Mekonnen und Dr. Mirjam van Reisen: Religiöse Verfolgung in Eritrea und die Rolle der Europäischen Union bei der Bewältigung dieser Herausforderung http://www.eepa.be/wcm/dmdocuments/Mekonnen.van_Reisen.ESF-LiU.pdf
Patriarch Abuna Antonios: Abuna Antonios war vom 1. Dezember 2003 bis 2004 locum tenens und vom 25. April 2004 bis Februar 2006 der dritte Patriarch der Eritreisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche. Nachdem er sich gegen die Einmischung des eritreischen Regimes in kirchliche Angelegenheiten ausgesprochen hatte, wurde er vom Regime unrechtmässig entthront und durch den unkritischen bzw. regime-treuen Abune Dioskorus ersetzt. Seit seiner Entthronung, für die das eritreisch-orthodoxe Kirchenrecht durch das Regime ausser Kraft gesetzt wurde, ist Abuna Antonios inhaftiert und steht offiziell unter Hausarrest. Sein Gesundheitszustand wurde im Jahre 2012 als besorgniserregend eingeschätzt. Informationen über seinen aktuellen Zustand gibt das eritreische Regime nicht bekannt. Abuna Antonios Verhaftung am 27. Mai 2007 wurde von Amnesty International in einer „Urgent Action“ im Juni 2007 bekannt gegeben. (Wikipedia)
http://www.igfm.de/news-presse/aktuelle-meldungen/detailansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=1499&cHash=86df2da84579b1805fb1a2fa7ef1667b
Die Internetseiten wurden im Oktober 2016 abgerufen.