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Aufstand in Asmara

31.10.2017, Asmara – Studentenproteste vor dem Präsidentenpalast, Schüsse fallen, alle Geschäfte werden geschlossen – Ausnahmezustand in Asmara. Die US-Botschaft warnt ihre Bürger auf die Strasse zu gehen, internationale Medien berichten und auf Social Media läuft ein Sturm der Bestärkung auf allen Kanäle seitens tausender MenschenrechtsaktivistInnen und Mitglieder von Oppositonsbewegungen.

«Wir sind äusserst beunruhigt über die Situation in Eritrea.», sagt Abdulrazek Seid, Präsident der Oppositionsbewegung EYMCS aus St. Gallen, «zum ersten mal seit 1991 sind die Leute in Eritrea auf den Strassen und demonstrieren!»

Vor einigen Tagen soll die Regierung in Asmara religiöse Symbole in der Öffentlichkeit verboten haben. Konkret hiess das: Kein Kreuz darf getragen werden und auch kein Kopftuch.

Gegen 14:00 Uhr seien 40-60 StudentInnen zum Präsidentenpalast gelaufen. Duzende Menschen sind dazu gestossen. Die Polizei und die Armee hätten eingegriffen und in die Luft geschossen. Auf Social Media kursieren Videos auf denen grössere Menschenmengen zu sehen sind, die auf der grössten Strasse von Asmara, der «Godanat Harnet» die Strasse der Freiheit rennen. Gewehrsalven hört man im Hintergrund. Auch Al Jazeera berichtet:

«Wir wissen nicht ob Menschen gestorben sind. Die Situation ist ausser Kontrolle. Doch bereits beginnen die Menschen auch in anderen Städten auf die Strassen zu gehen.« Habe ein Informant von Abdulrazek Seid vor wenigen Stunden direkt aus Asmara berichtet. Die Polizei habe bis 19:00 Uhr über 100 Leute festgenommen. Doch die Lage sei ungewiss. Denn es gäbe Gruppierungen im Militär, die die Regierung nicht unterstützen würden: «Wir wissen nicht, was morgen ist. Wir warten ab und schauen was passiert.»

Auslöser seien empörte Schüler der renommierten öffentlichen arabischen Schule ADIA (eine von zwei arabischen Schulen in Asmara) gewesen. Lehrer und Schüler hätten gegen die neue Verordnung der Regierung und der daraus demonstriert. Scheich Mussa Mohammed ein Lehrer der ADIA Schule wurde in wenigen Stunden weltbekannt. Er war es der den Protest begann unter einem Baum im Vorhof der Schule hielt er eine Rede: «(…) Wir sind bereit, alles was kommt auf uns zu nehmen! Ein Mensch ist verpflichtet für seinen Respekt und für das eigene Land einzustehen. Er ist verpflichtet sich verhaften lassen und zu sterben! Und wenn er sterben muss dann sei es so – wir werden morgen sowieso alle sterben. (…)»

Wenige Stunden später sei er verhaftet worden und zehn weitere Lehrer seien festgenommen. Darauf seien 40 zornige Schüler los gezogen auf direktem weg zum Präsidentenpalast.

«Noch nie war das Volk auf den Strassen! Seitens der Armee gab es 2013 einige hundert meuternde Soldaten. Doch dieses Ausmass ist einzigartig.» bekräftigt Abdulrazek Seid. Aljazira berichtete bereits darüber und zeigte Videomaterial. Auch der Journalist Martin Plaut veröffentlichte auf seinem Blog Videos und eine Nachricht eines  Augenzeugen: «Die Polizei fuhr vor. (…) Die Kinder der Nachbarschaft spielten auf den Strassen, auch mein Bruder. (…) Ich habe keine Worte dafür, was ich dann gesehen habe. Die Strassen wandelten sich plötzlich in so etwas, wie im Film Black Hawk Down.»2

Der eritreische Informationsminister dementierte darauf auf Twitter diese Information und stellte Plaut als Lügner dar.

Im eritreischen Staatsfernseher lief während dem eine Sendung zu Brexit.

Die US-Botschaft meldete Proteste und Gewehrfeuer in Asmara und wies alle US-Bürger darauf hin äusserste Vorsicht walten zu lassen.

Es seien nicht nur Muslime bekräftigt Abdulrazek Seid – diese haben zwar den Protest begonnen – doch es sind auch Christen auf die Strasse gegangen. [Anm. d. Red. viele Reden auch davon, dass vor zwei Wochen ein katholisches Seminar geschlossen worden sei und dabei ein Priester gefangen genommen worden sei.] Auch im Ausland sprechen tausende Muslime und Christen Hand in Hand sich für die Bevölkerung in Eritrea aus. Auch alle Oppositionsbewegung würden die Demonstration unterstützen. Es ginge nicht um die Religion. Alle seien unterdrückt. Es ginge um das ganze Land.

Die Polizei habe begonnen massive Präsenz aufzubauen. Abdulrazek Seid: «Ich habe Angst, dass unzählige Menschen gefangen genommen werden und die Stadt morgen wieder unter Kontrolle ist. Wir hoffen, dass einen Teil des Militärs auch meutern wird. Denn wenn niemand mit den Protestierenden steht werden diese umgebracht. Die Regierung hat keine Hemmung.» Er habe vernommen, dass sich die Leute mit Steinen wehren. Sie werden auf den Strassen bleiben in den Quartieren, denn wenn sie nach Hause gehen ist es vorbei. Das Militär wird kommen und jeden einzelnen gefangen nehmen. «Das war meine letzte Information aus Asmara» berichtet Abdulrazek Seid. Die Leute wissen genau was auf sie zu kommt, meint er. Doch ihnen sei es egal ob sie sterben würden oder nicht: «Sie gehen jetzt auf die Strasse.»

Update: 01.11.2017, 10:30 Uhr

Tesfaldet Oqbe aus Lausanne, Präsident der Schweizer Sektion der Oppositionsbewegung ESMNS berichtet, dass mittlerweile an jeder Strassenkreuzung Militär positioniert sei. In der ganzen Stadt herrsche Ausgangssperre. Die Leute seien zu Hause, sie hätten sich aber nicht beruhigt. «Unsere Hoffnung ist, dass sich das Militär dem Volk anschliesst.»

Alle hätte das Ereignis überrascht. Die Situation würde sich im Moment zwar beruhigen. Doch dies sei ein erster  Schritt: «ça va commencer!».

Er habe bis jetzt nicht davon gehört, dass es Tote gegeben hat. «Jetzt müssen die Leute geweckt werden» sagt Oqbe. Sie seien intensiv daran ihre Kontakte in den umliegenden Ländern zu bestärken und auch ihre Kontakte innerhalb des Landes.

«Hoffnung? Was heisst Hoffnung? Wir erwarten nichts Grosses. Aber diese Geschichte wird helfen, dass sich eines Tages das Militär der Bevölkerung anschliesst.»

Update 1.11.2017, 22:30 Uhr

Mehrere internationale Medien melden mindestens 28 Tote und hunderte Verletzte (gemäss dem Pressesprecher Nasredin Ali der Red Sea Afar Democratic Organization, Die Aussagen wurden später als Falschmeldungen deklariert). Zudem sprachen sie von weiteren Protesten in mehreren Städten.

BBC News: «Eritrea’s Asmara City hit by rare student protest»
Al Jazeera: «Eritrea opposition: Security forces kill 28 protestors»
New York Times: «28 killed in rare protests, opposition says»
Le Monde: «En Érythrée, des écoliers reprimés pour avoir manifesté à Asmara»

Der Staatssender Eri-TV spricht über die protestierenden StundentInnen von  «Terroristen» und «Jihadisten»:

Die Untergrundorganisation «Arbi Harnet» (Freedom Friday) ruft entgegen der «Teile und Herrsche» Strategie des Regimes auf zum interreligiösen Protest (Update von Martin Plaut):

«Unsurprisingly the regime is attempting to taint this as a religious move aimed at asserting Moslem dominance in the country. (…) Yesterday at the mosque we made it clear that our issues are issues of freedom and liberty and not confined to religion or one religious group. [Anm. d. Red. Es gab heute nach dem Gebet in einer Moschee eine Demonstration auf deren Vorplatz] We appeal to all our brothers and sisters to continue to stand in solidarity and reject any attempts to divide and paly us against each other.»