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Das Argument der «Wirtschaftsflüchtlinge» im Verhältnis zum Nationaldienst

von Yvonne Meyer

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen verlassen jeden Monat zwischen 2000 und 3000 Eritreer*innen das Land. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht in ihrem Ende 2015 veröffentlichten Bericht „Just Deserters“ sogar von 5000 monatlich Geflüchteten. Der Hauptgrund für diesen Exodus ist der Militärdienst, auch National Service genannt. Laut einer Mitteilung des UNHCR handelte es sich bereits Ende 2014 bei 90% der geflüchteten Eritreer*innen um junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren. Doch auch viele unbegleitete Minderjährige verliessen bereits das Land. Diese jungen Menschen fassen den Entschluss zur Flucht nicht leichtfertig, denn sie sind sich der Risiken bewusst, die sie damit eingehen. Wie es früher in der DDR üblich war, ist das Verlassen des Landes ohne Visum verboten. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellt in allen Asylentscheiden, in denen es um das illegale Verlassen des Landes geht, fest: Ein legales Verlassen Eritreas ist grundsätzlich lediglich mit einem gültigen Reisepass und einem zusätzlichen Ausreisevisum möglich. Ausreisevisa werden von den eritreischen Behörden bereits seit mehreren Jahren nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen und gegen Bezahlung hoher Geldbeträge an wenige als loyal beurteilte Personen ausgestellt, wobei Kinder ab elf Jahren, Männer bis zum Alter von 54 Jahren und Frauen bis 47 Jahren grundsätzlich von der Visumserteilung ausgeschlossen sind.

Wer vor dem Wehrdienst flüchtet, gilt somit als Landesverräter*in. Die Grenzen sind streng bewacht und die Beamten haben den Auftrag, Leute, die das Land illegal verlassen, zu erschiessen. Die Fluchtroute durch die Sahara ist sehr gefährlich. Immer wieder geraten Flüchtlinge in die Hände skrupelloser Menschenhändler*innen, die sie in Geiselhaft nehmen und bei ihren Angehörigen Lösegeld erpressen. Die wehrlosen Flüchtlinge werden verkauft, grausam gequält und die Frauen werden Opfer von brutaler, sexueller Gewalt. In Libyen angekommen, werden viele Flüchtlinge verhaftet und landen in furchtbaren Gefängnissen ohne Tageslicht. Oft bleiben sie dort mehrere Monate und werden regelmässig misshandelt. Ein westafrikanischer Flüchtling sagte unlängst gegenüber der Hilfsorganisation SOS Méditerranée über seine sechsmonatige Inhaftierung in Libyen:

”In Libyen werden Afrikaner aus Subsahara-Afrika aus ihren Häusern gezerrt und ins Gefängnis geworfen. Sie geben uns fünf Tage lang kein Essen, dann etwas Spaghetti und das war’s. Sie prügeln uns, sie prügeln uns, jeden Tag prügeln sie uns.”

Die letzte Etappe führt dann in meist seeuntauglichen Booten über das Mittelmeer. Immer wieder kommen Flüchtlinge bei der Überfahrt ums Leben. Ein von SOS Méditerranée aufgegriffener Flüchtling erinnert sich: „Das Boot war beschädigt. Man konnte hören, wie Luft rauskam. Aber ich setzte mich rein. Ich hatte mich bereits entschieden, dass es besser war auf See zu sterben als in der Nähe von jemandem zu wohnen, der mich letztendlich umbringen wird.” Die grösste Tragödie ereignete sich am 3. Oktober 2013, als mehr als 360 Menschen, viele davon Eritreer*innen, ertranken. Aber Dawoye* (Name geändert) aus Mali resümiert:

„Es ist unglaublich beängstigend. Wenn man Glück hat, kommt man auf ein größeres Schiff wie dieses, das einen aufsammelt. Aber wenn man kein Glück hat, dann stirbt man. Wir nehmen dieses Risiko auf uns und wir müssen mit den Ergebnissen leben. Wir haben keine andere Chance.“

Da die Fluchtwege sehr gefährlich sind, bleiben die Frauen oft in den angrenzenden Ländern im Sudan oder in Äthiopien zurück. Dort existieren zwar Flüchtlingslager des UNHCR. Diese werden von den Schutzsuchenden jedoch oft gemieden, da sie sich vor Übergriffen der lokalen Bevölkerung bzw. vor Entführungen durch Menschenhändler*innen sowie Mitgliedern der eritreischen Sicherheitsdienste fürchten. Besonders berüchtigt ist das Flüchtlingslager im sudanesischen Shegerab. Zudem sind die Lebensbedingungen in den Lagern prekär. So lassen sich viele Flüchtlinge zunächst in den Hauptstädten Äthiopiens und des Sudans nieder, wo sie sich illegal aufhalten. Während die Männer versuchen, ihre Weiterreise mit Gelegenheitsjobs zu finanzieren, bleiben die Frauen oft zurück, weil sie Angst haben, in der Wüste vergewaltigt zu werden. Sie lassen ihre Männer, Brüder und Freunde allein weiterziehen und hoffen, dass sie ihnen später auf legalem Weg nachreisen können. Auch Frauen mit Kindern wagen es nur selten, die Wüste zu durchqueren.

Die Tatsache, dass die jungen Menschen diese hohen Risiken eingehen und damit ihr Leben riskieren, beweist ihre Hoffnungslosigkeit. Niemand nimmt diese Gefahren in Kauf nur für „ein besseres Leben und Luxus“, oder so wie es Eritreas Staatspräsident Afewerki einst zynisch formulierte: „um ein Picknick zu machen“. Nur die Verzweiflung und der Wunsch nach Freiheit lässt den jungen Menschen keine andere Wahl. Sie wollen ihre Zukunft selber bestimmen, eine Ausbildung machen und nicht mehrere Jahrzehnte im National Service „für den wirtschaftlichen Aufbau des Landes“ benutzt werden.

Bei einer Bevölkerungszahl von 6.75 Millionen Einwohner*innen dienen ca. 400’000 Personen im National Service. Dieser National Service ist in keiner Weise mit unserer Rekrutenschule vergleichbar. Der eritreische National Service bedeutet sechs Monate strenge militärische Ausbildung und Zwangsarbeit auf unbestimmte Zeit, die mehrere Jahrzehnte dauern kann. Artikel 2,1 des Übereinkommens über Zwangsarbeit (Convention on Forced Labour CFL) von 1930 definiert Zwangs- oder Pflichtarbeit als „jegliche Arbeit oder Dienst, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sich besagte Person nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“ Im Amnesty-Bericht steht: „Die Regierung lässt verlauten, dass die unbeschränkte Verpflichtung zum National Service notwendig sei angesichts der ständigen Bedrohung, der Eritrea durch die Aggression von äthiopischer Seite her ausgesetzt sei. Somit stellt die allgemeine Verpflichtung zum Militärdienst per se noch keine Verletzung des internationalen Verbots der Zwangsarbeit dar, wie sie im internationalen Vertrag über bürgerliche und politische Rechte oder in der Vereinbarung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betreffend Zwangs- und Pflichtarbeit definiert ist. Beide Verträge halten im Falle eines Notstandes die Möglichkeit zur Einberufung in den Nationaldienst offen, doch nur unter der Prämisse, dass die Arbeit rein militärischen Charakter hat. Eine weitere Bedingung ist, dass die Dauer, das Ausmass und der Zweck der verpflichtenden Arbeit auf das unbedingt Notwendige beschränkt bleiben. Der Einsatz von verpflichtender bzw. Zwangsarbeit zum Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung ist nach internationalem Recht ausdrücklich verboten.“

Schon die 12. Schulklasse findet in einem militärischen Ausbildungslager statt. Die Schüler*innen erhalten eine strenge militärische Ausbildung (meist im Ausbildungscenter in Sawa), schlechter qualifizierte Schulabgänger*innen bzw. vorzeitig abgegangene und bei Razzien aufgegriffene ehemalige Schüler*innen werden in anderen Lagern „ausgebildet“ und später für niedrige Arbeiten (Landwirtschaft, Strassenbau etc.) herangezogen. In den Ausbildungslagern werden sie zudem „politisch sozialisiert“. Während einige wenige Sawa-Absolvent*innen mit einem besonders guten Notendurchschnitt an einem der sieben der Regierung unterstellten Colleges studieren und später als Privilegierte in Verwaltungen, staatlichen Betrieben, Banken, Ministerien, parteieigenen Firmen und in Krankenhäusern sowie als Lehrer*innen arbeiten dürfen, folgt für die übrigen Absolvent*innen der Nationaldienst auf unbestimmte Zeit. Er kann vom 18. bis zum 50. Lebensjahr dauern, oder sogar länger. Nach dem oben erwähnten Amnesty-Bericht wurden z.B. in der Region Gashbarka 2015 sogar Extra-Einheiten unter dem Namen „People’s Army“ gebildet, in denen ältere Menschen für ein 1-2monatiges Auffrischungstraining aufgeboten und danach in ihnen zugeteilten Arbeitsbereichen, z.B. als Wachtposten vor öffentlichen Gebäuden oder auf dem Bau, eingesetzt wurden. Der älteste in diesem Rahmen von Amnesty befragte Mann war 67 Jahre alt, aber auch ältere Frauen werden laut Amnesty wieder eingezogen.

Schwere körperliche Arbeit und politische Sozialisierung werden als Mittel eingesetzt, um Arbeitsmoral, Gefügigkeit, Unterordnung und Disziplin herbeizuführen. Damit wird gegen Wortlaut und Sinn der Konventionen verstossen, die Zwangsarbeit verhindern sollen. Die Einheitspartei PFDJ (People Front for Democracy and Justice) und das Militär kontrollieren die meisten kommerziellen Betriebe.

Die Bezahlung im National Service gleicht laut übereinstimmenden Berichten einem Taschengeld. Sie beträgt für die meisten Diensttuenden lediglich 450 Nakfa, was ca. CHF 25.- entspricht. Dies ist ein Mittelwert, denn der Kurs schwankt ständig. Offiziell lag er bei Veröffentlichung des Amnesty-Berichtes bei $43, doch wird sein Wert auf dem Schwarzmarkt, wo sich viele Eritreer*innen mit dem Notwendigsten versorgen, weil die staatlich zugeteilten Lebensmittelrationen nicht ausreichen, eher um die $10 geschätzt. Hier einige Vergleichszahlen:

1 kg Fleisch kostet ca. 280 Nakfa. 10 kg Teff (Zwerghirse), ein wichtiges Getreide, das zu Fladenbrot und Bier weiterverarbeitet und als Viehfutter verwendet wird, kostet 500 – 600 Nakfa. Ein Zimmer, 3 auf 4 Meter, kostet 600 – 800 Nakfa. Nur wenige von Amnesty befragte Militärangehörige gaben an, 600, 800 oder gar 1000 Nakfa pro Monat zu erhalten.

Diese Zahlen zeigen, dass es unmöglich ist, mit dem Sold weitere Familienangehörige zu ernähren. Da oft in einer Familie mehrere Personen National Service leisten, fehlen überdies die arbeitsfähigen und leistungsstarken Familienmitglieder; insbesondere in der Subsistenzlandwirtschaft in den Dörfern. Urlaub gibt es selten, sodass die Familie oft nur einmal im Jahr besucht werden kann. “Mein Vater war schon im Militär, bevor ich geboren wurde“, sagte Binyam, 18 Jahre alt, gegenüber Amnesty International.

„Er (der Vater) erhält dort 450 Nakfa pro Monat, was nicht einmal ausreicht, um Öl zu kaufen. Meine ältere Schwester war drei Jahre lang (im National Service) verpflichtet, bevor sie nach Äthiopien floh. Ich habe das Land verlassen, bevor ich eingezogen werden konnte. Ich wollte das nicht. Es bringt nichts. Ich habe das bei meinem Vater und meiner Schwester gesehen. Wir haben unseren Vater vielleicht alle sechs Monate für eine oder zwei Wochen gesehen, doch wenn er zu lange blieb, kam seine Einheit und holte ihn zurück. Ich will nicht Kinder haben, die mich nur alle sechs Monate sehen. Ich möchte meine Kinder jeden Tag sehen.”

In den Militärlagern werden Frauen regelmässig Opfer von sexueller Belästigung und Gewalt. Es kommt oft zu ungewollten Schwangerschaften, was für die Frauen in der konservativen eritreischen Gesellschaft zu sozialer Ächtung und Marginalisierung führt und somit längerfristig gesamtgesellschaftlich fatale Folgen hat. Militärischer Ungehorsam, z. B. das unerlaubte Fernbleiben von der Einheit, wird mit drakonischen Strafen und Haft unter unzumutbaren Bedingungen bestraft. Dabei sind die Haftzeiten für die Vergehen laut Amnesty International nicht einheitlich, sondern liegen im Ermessen der jeweiligen Kommandant*innen. Eine gängige Foltermethode ist z.B. der „Helikopter“. Dabei wird der/die Betroffene an Armen und Beinen zusammengebunden und dann entweder am Boden oder an einem Baum hängend mehrere Stunden lang der prallen Sonne ausgesetzt. Auch wer vor der Rekrutierung untertaucht und später bei einer der zahlreichen Razzien aufgegriffen wird sowie alle, die der Dienstverweigerung verdächtigt werden, riskieren lange Haftstrafen in Schiffscontainern oder unterirdischen Zellen, die Misshandlung und Folter miteinschliessen. Die Betroffenen werden ohne richterliches Urteil und ohne Kontakt zur Aussenwelt an geheimen Orten ohne Wissen ihrer Familien festgehalten (Incommunicado-Haft). Die medizinische Versorgung ist schlecht und es kommt immer wieder zu ungeklärten Todesfällen. Nach Verbüssung der Haftstrafen werden die Gefangenen wieder ihrer Einheit zugeführt. Es ist selbstredend, dass derlei Haftbedingungen, wie sie im Amnesty Bericht bestätigt werden, international geächtet sind.

Die jungen Menschen opfern ihre besten Jahre der Regierung. Sie haben keine Möglichkeit, zu studieren, da die letzte Universität im Jahr 2003 geschlossen wurde und es seither keine höhere Bildungseinrichtung mehr gibt, die nicht dem Militär unterstellt wäre. Selbst die oben erwähnten Sawa-Abgänger*innen, die zu den Colleges zugelassen werden, können ihren Studiengang und somit ihren künftigen Beruf nicht selbst wählen. Dies bestimmt die Regierung nach Bedarf, was laut Amnesty-Bericht ebenfalls gegen die Konvention gegen Zwangsarbeit verstösst. Deshalb fehlt der eritreischen Jugend die Freiheit, über ihre Zukunft selber bestimmen bzw. eine Familie gründen zu können.

Flieht ein Mensch aus Eritrea, wird entweder ein*e Angehörige*r in Haft genommen (Sippenhaft), oder die Familie muss eine Bürgschaft von 50’000 Nakfa (der Sold von über 100 Monaten Nationaldienst bzw. knapp SFr. 3’000.-) bezahlen.

„Es herrscht ein Klima der Angst“

, sagt Veronica Almedom von „The Stop Slavery In Eritrea“-Kampagne.

„Man hat Angst vor der Polizei, den Nachbarn, dem eigenen Onkel“, sagt der Anthropologe David Bozzini. Erpressen, Ausspionieren und Drohen sind nicht nur Mittel der Behörden. Das führt dazu, dass man niemandem mehr traut, so wie es zu DDR-Zeiten der Fall war.

„Man kann von heute auf morgen von der Strasse gefischt werden und verschwinden“

, schreibt der Ethnologe Magnus Treiber. Diese Aussagen von Menschen, welche die Situation in Eritrea wirklich kennen, beweisen, wie alarmierend die Menschenrechtslage in diesem Land ist. Auch der UNO-Bericht der Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea, der am 8. Juni 2016 veröffentlicht wurde, bestätigt grobe Menschenrechtsverletzungen, von denen einige sogar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet werden. Sowohl die UNO als auch Amnesty International kommen in ihren Berichten zum selben Schluss: Sie empfehlen westlichen Regierungen, Asylsuchende aus Eritrea als Flüchtlinge anzuerkennen.

Der UNO-Bericht basiert auf Zeugenaussagen von mehreren hundert Exil-Eritreer*innen, die selber Opfer dieses grausamen Regimes waren. Den UNOErmittler*innen wurde die Einreise nach Eritrea verweigert. Am 23. Juni 2016 versammelten sich mehr als 12’000 Eritreer*innen und Freund*innen Eritreas in Genf, um ihre Unterstützung für den Bericht der Untersuchungskommission zu demonstrieren und die Überstellung des eritreischen Machthabers Isaias Afewerki an den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte (ICC) zu fordern. Viele Teilnehmer*innen der Demonstration tragen noch immer irreversible Narben der im Bericht festgehaltenen Menschenrechtsverletzungen an ihrem Körper.

Amnesty International schreibt in seinem neusten Länderbericht über Eritrea: „Der Nationaldienst in Eritrea gleicht einer unbefristeten Zwangsarbeit und beraubt eine ganze Generation junger Menschen ihrer Zukunft.“ Die Menschenrechtsorganisation belegt in ihrem Bericht von 2015 zudem, dass Menschen, die diesem Zwangsdienst entfliehen wollen, willkürliche Haft ohne Kontakt zur Aussenwelt droht. Michelle Kagari, Vizedirektorin von Amnesty International im Regionalbüro Ostafrika: „Die Realität des eritreischen Nationaldienstes straft die Behauptungen in einigen europäischen Ländern Lügen, wonach es sich bei den meisten eritreischen Flüchtlingen um Wirtschaftsmigrant*innen handelt.“ Amnesty International fordert deshalb die Asylbehörden der Aufnahmeländer dazu auf , bei ihrer Entscheidungspraxis zu berücksichtigen, dass die unbefristete Einberufung in den eritreischen National Service verbotener Zwangsarbeit gleichkommt und daher eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Im Weiteren fordert Amnesty International die eritreische Regierung dazu auf, das System des unbefristeten Nationaldienstes zu beenden und die Praxis der weit verbreiteten, willkürlichen Incommunicado-Haft zu stoppen. Das eritreische Regime hat schon mehrfach angekündigt, den National Service auf 18 Monate zu begrenzen. Dieses Versprechen wurde aber bis jetzt nicht eingelöst, genauso wie das eritreische Volk seit 1997 vergeblich auf die Umsetzung einer Verfassung wartet.

Der eritreische National Service wurde 1993 nach der Unabhängigkeit von der EPLF (Eritrean People’s Liberation Front), die nach dem Sieg über das äthiopische Militärregime die Macht übernommen hatte, eingeführt. Er galt für alle Frauen und Männer zwischen 18 und 40 Jahren. Er bestand ursprünglich aus 6 Monaten militärischem Training und 12 Monaten Arbeit im Wiederaufbauprogramm. Viele meldeten sich freiwillig zu diesem Dienst. Wer das nicht tat, wurde nach Abschluss der 12. Schulklasse ins Ausbildungslager in Sawa einberufen. Wer nicht erschien, wurde gewaltsam ins Lager gebracht. Wer den Dienst verweigerte, z.B. aus religiösen Gründen, wie u.a. die Mitglieder der Zeugen Jehovas, wurde verhaftet und verschwand im Gefängnis. Als sich 1998 das Verhältnis zu Äthiopien verschlechterte und ein Grenzkrieg (1998 – 2000) ausbrach, der 100’000 Tote forderte, wurden alle bisherigen Absolvent*innen des National Service wieder eingezogen. Nach Kriegsende gab es aber keine Demobilisierung. 2002 verkündete die Regierung die sogenannte Warsay-Yikealo-Entwicklungskampagne (WYDC). Unter der Prämisse der Situation „kein Krieg – kein Frieden“ wurde der National Service auf unbestimmte Zeit verlängert. Das bedeutet für Frauen bis 27 Jahre, für Männer bis mindestens 50 Jahre. Nach der Einführung der WYDC, die den National Service zu einer unbefristeten Verpflichtung machte unter dem Vorwand, dass wegen der anhaltenden äthiopischen Bedrohung und auf Grund der internationalen Sanktionen eine Massnahme wie die WYDC notwendig geworden sei, entfiel konsequenterweise jegliche Freiwilligkeit zum Ableisten des National Service.

Bibliographie:

Amnesty International: Medienmitteilung
[Stand: Okt. 2016]
Burri, Anja: „Manchmal reicht die schlechte Laune eines Funktionärs aus“. Interview mit David Bozzini.
[Stand: Okt. 2016]
Hirt, Nicole: Zivildienst oder Zwangsarbeit? Der eritreische National Service. In: Eritrea. Von der Befreiung zur Unterdrückung, hg. von Martin Keiper. Hamburg 2015, S. 37-45.
Dies.: Flucht vor der Versklavung
[Stand: Okt. 2016].
Kibreab, Gaim: Eine moderne Form der Sklaverei. In: Eritrea. Von der Befreiung zur Unterdrückung, hg. von Martin Keiper. Hamburg 2015, S. 28-36.
Lachat, Denise: Traum und Albtraum in Eritrea
[Stand: Okt. 2016]
Rühl, Bettina: Ein Leben in Angst
[Stand: Okt. 2016]
Dies.: Afrikas Gulag.
[Stand: Okt. 2016]
Zeier, Christian: „Wer die Lage in Eritrea verharmlost, unterstützt die Propaganda der Diktatur“.
[Stand: Okt. 2016]

Weitere Lektüre und Videos
Bericht der COIE
Militärdienst in Eritrea
Bericht von Amnesty International, Ende 2015
ERITREA: Sexueller Missbrauch von Frauen im Militär, ergänzende Liste derNachweise
Human Rights Watch 2016
National Service and State Structures in Eritrea von Dr. David Bozzini Warum Eritreer ihre Heimat verlassen
Zekarias Kebraeb: Menschenrechte in Eritrea werden verletzt
Zekarias Kebraeb: Warum flüchtet ein junger Mensch aus Eritrea?
SOS Méditerranée: „in eigenen Worten“
http://sosmediterranee.org/in-eigenen-worten-8/
http://sosmediterranee.org/in-eigenen-worten-10/
Die Internetseiten wurden im Oktober 2016 abgerufen.

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