Zusammenfassung der Kritik
Wir vom Eritreischen Medienbund Schweiz sind sehr enttäuscht darüber, wie unprofessionell und schludrig der Beitrag von Christoph Leisibach in Schweiz aktuell vom 14.05.2021 über Eritreer*innen in der Schweiz recherchiert und umgesetzt worden ist. Das gewählte Framing ist oft rassistisch. Themen, wie Vorurteile und negative Asylentscheide, werden nicht in ihren komplexen Kontext gestellt, sondern undifferenziert beleuchtet. Rassistische Vorurteile werden somit sogar verstärkt. Strukturelle Hürden beim Integrationsprozess von Eritreer*innen werden in keinem Moment erwähnt, Integration wird im Gegenzug als eine «Wahl» für Eritreer*innen dargestellt, die nur von ihrem «Wille zum Engagement» abhängt. Zugang zu differenzierten Meinungen, weiteren Expert*innen und treffenden Beispielgeschichten hätte der Journalist Michael Weinmann gehabt, doch nicht genutzt. Die journalistische Sorgfalt lässt zu wünschen übrig: Es scheint, als ob die Journalisten mit dem Beitrag vor allem ihre eigenen Vorurteile gegenüber Eritreer*innen bestätigen wollten, statt einen differenzierten Bericht über Eritreer*innen in der Schweiz zu gestalten.
Wir sind insbesondere darüber schockiert, wie erstens, Frau Dr. Fana Asefaws inkorrekte Pauschalisierungen als Expertinnenmeinung (ohne Gegenrede) gezeigt wurden und zweitens, wie das Thema Rückkehr und Negativ-Entscheide undifferenziert thematisiert wurde und nicht in ihrem aktuellen, hoch debattierten und politischen Kontext gestellt wurde.
Kritikpunkte im Detail
Das ganze Framing der Sendung zeigt die Situation in Eritrea und der Geflüchteten in der Schweiz stark verharmlosend und kontextlos. Eritreer*innen erleben Schwierigkeiten im Integrationsprozess aus vielen Gründen, insbesondere weil die Schweizer Politik/ das Schweizer Gesetz strukturelle Hürden setzt. Arbeit und Ausbildung erhalten beispielsweise geflüchtete Menschen während dem drei bis vier Jahre dauernden Asylverfahren nur selten und nur nach einer bürokratischen Bewilligung vom Bund. Für abgewiesene Geflüchtete in der Nothilfe sind Arbeit und Ausbildung verboten. Weiter haben Eritreer*innen nicht nur als Geflüchtete mit Vorurteilen und strukturellem Rassismus zu kämpfen, sondern auch als Schwarze Menschen, was ihnen erwiesenermassen Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt erschwert. (Siehe Studie vom Schweizer National Fonds)
Beispiele aus dem Beitrag:
- Vergleich zwischen Integration von Portugies*innen und Integration der Eritreer*innen:
- Der Journalist betont Portugies*innen seien gekommen wegen der Arbeit in der Tourismusbranche. Eritreer*innen seien eine ganz andere Gruppe. Sie seien geflüchtet, um in Sicherheit zu leben, für ein Job und für ein Einkommen. Das verkennt die Realität und schürt den Diskurs über «Wirtschaftsflüchtling» rechter Parteien. Die meisten Eritreer*innen in der Schweiz sind anerkannte Flüchtlinge, und eben gerade keine Wirtschaftsmigrant*innen. Kürzlich ist ein investigativer Reportagefilm erschienen, der tiefgehend aufzeigt, warum Menschen aus Eritrea fliehen: https://www.pbs.org/wgbh/frontline/film/escaping-eritrea/?fbclid=IwAR0SGlgTCVSx7W4HYq9K6WeE4dxPrPcExlUsKBtCN4OdLZNTmBDZLsSP1X0
- Die Vizedirektorin des Forums für Migrationsstudien sagt, dass es sich bei Eritreer*innen um politische Geflüchtete handelt und sie eine traumatische Reise hinter sich haben. Darum sei der Integrationsprozess bei Eritreer*innen ganz anders als bei anderen Migrant*innengruppen. Der Journalist fasst nach dem Gespräch folgend zusammen: «Es sind also Kultur und Sprache, die die Integration schwierig machen». Am Schluss der Sendung fasst er es nochmals folgendermassen zusammen: «Bei Eritreer*Innen ist es speziell schwierig [die Integration]. Es sind Menschen aus einer ganz anderer Kultur und mit einer ganz anderen Sprache.»
Dass es auch strukturelle Gründe dafür gibt, wird nicht erwähnt.
Integration wird nur als Aufgabe der Betroffenen dargestellt und es werden die gesellschaftlichen und politischen Aufgaben / Mankos beleuchtet.
Beispiele aus dem Beitrag:
- Familie Ocbe: «Die Familie hat viel unternommen, um sich zu integrieren». → Es wird nur gezeigt, dass bei der Integration von Eritreer*innen nur der eigene Wille zählt. Die strukturelle Hürden werden nicht aufgezeigt. Herr Ocbe sagt: «Man muss kämpfen». Warum man kämpfen muss, wird nicht aufgezeigt.
- Herr Ocbe: Er hat Pädagogik studiert, arbeitet nun als Elektriker. Es wird nur gezeigt, dass dies nun seine Lieblingsarbeit ist, doch der Journalist geht nicht darauf ein, dass dieses Beispiel ein Paradebeispiel dafür ist, wie wir in der Schweiz oft gut ausgebildete Menschen haben, mit sehr hohem Potenzial, welche aber in “einfachen” Jobs landen und oft aus strukturellen Gründen dort bleiben müssen (keine Anerkennung der Diplome, nicht genügende Förderprogramme, um hier ein Studium abzuschliessen und in höher qualifizierte Berufe zu arbeiten). (Siehe z. B. Bildung für alle jetzt: «Die Inklusion von geflüchteten Menschen in Schule, Ausbildung und Beruf ist ungenügend. Viele Geflüchtete, Asylsuchende, Abgewiesene und Sans-Papiers, die sich bilden und arbeiten wollen, stehen vor unüberwindbaren Barrieren im Zugang zu Bildung und qualifizierter Arbeit.»)
- Übergang von Familie Ocbe zu den Abgewiesenen: «Jetzt haben wir die Erfolgsgeschichte gesehen, nun geht es um diese, die abgewiesen wurden.» → Das impliziert, so wie es gesagt wird, dass die Abgewiesenen es selbst nicht geschafft haben, “sich nicht genug Mühe gegeben haben”, und darum keine “Erfolgsgeschichte” sind. Dass Menschen in die Nothilfe landen, hat gar nichts mit ihrem Engagement sich zu integrieren zu tun. Sie sind Opfer von einem Asylsystem, welches nicht menschenwürdig ist, und strukturelle Gründe, warum Menschen aus Eritrea flüchten, nicht anerkennt.
Expert*innen sind nicht Expert*innen zu den gestellten Themen:
Beispiele aus dem Beitrag:
- Helen Daniel → Der Journalist fragt ob sie auch «Sozialhilfe und Frauenrechte in der Schweiz» im Diaspora TV thematisieren. Was der SRF Journalist dabei nicht versteht, dass Diaspora TV insbesondere Aufträge von Schweizer Gesundheitsorganisationen jeweils pauschal für diverse Sprachen abarbeitet, was nicht weniger relevant ist und wichtig, aber selten aus der Community heraus kommt. Was aus der Community heraus kommt sind teilweise die Monthly News oder die Talkshows des Eritreischen Medienbund Schweiz, die im Studio von Diaspora TV aufgenommen werden. Über deren Themen entscheidet aber nicht Helen Daniel (als Newscasterin), sondern u. a. Abdu Mohammed Andu der sowohl die Redaktion über die Monthly News als auch über die Talkshows als Mitglied des Infokanal-Teams vom Eritreischen Medienbund organisiert und durchführt. Er wäre zwei Stühle weiter daneben gesessen. Falls sich der Journalist tatsächlich für Themen interessierte, die aus der Community kommen, hätte die Arbeit vom Eritreischen Medienbund oder vielen weiteren Akteur*innen, die sich für die Sache der geflüchteten Eritreer*innen einsetzen, gezeigt werden können.
- Dr. Fana Asefaw: Der Journalist fragt sie «Das Vorurteil existiert, dass diese Menschen das Sozialsystem belasten. Warum ist es so schwierig diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren?»
→ Fana Asefaw ist Psychiaterin. Sie ist weder Arbeitsmarktexpertin, noch Geisteswissenschaftlerin/Politikwissenschaftlerin/Medienexpertin und kann diese Frage folglich nicht als Expertin sondern nur aus ihrem persönlichen Bauchgefühl heraus beantworten – was aber im Beitrag nicht als solches, sondern als Expertinnenmeinung deklariert.
Wichtige Informationen wurden ausgelassen und andere unkritisch stehen gelassen, weiteres ist schludrig vorbereitet:
Beispiele aus dem Beitrag:
- Während der Erklärung zum Thema Abgewiesene sagt der Journalist: «Nur etwa 30 gehen jedes Jahr freiwillig zurück»
→ Das sind fast nie Abgewiesene, die zurückgehen, sondern vorwiegend Menschen mit einem anerkannten Aufenthaltsstatus (bspw. C oder B Ausweis). Oft wird zudem die Rückkehr verwechselt, mit der zweiten Generation Eritreer*innen, die in der Schweiz geboren wurden, und mit dem Schweizer Pass nach Eritrea reisen, die aber nicht geflohen sind und darum nicht den gleichen Gefahren ausgesetzt sind. Bereits vor einem Jahr Anfangs 2020 wurde ein sehr ausführlich recherchierter Beitrag vom investigativen Recherche Kollektiv Reflekt darüber veröffentlicht. Die Recherche zeigt, dass Rückkehrer spurlos verschwunden sind, in Gefängnisse gefoltert wurden oder wieder geflohen sind. (siehe hier…)
- Der Beitrag von SEM Pressesprecher Daniel Bach wird nicht diskutiert, es wird also davon ausgegangen, dass Menschen, die Negativ erhalten, ohne Gefahr zurück könnten. Dies ist eine politisch hoch diskutierte Frage, wenn man sich nur kurz zum Thema fundiert informieren würde. Diverse Recherchebeiträge und wissenschaftliche Arbeiten der letzten Jahre zeigen, dass die Aussage von Herr Bach auf Sand gebaut ist (siehe z.B. Schweizerische Flüchtlingshilfe). Menschenrechtsorganisationen, die UNO-Sonderbeauftragte für Eritrea und weitere Expert*innen, wiederholen ständig, dass die Schweiz mit ihrer Praxis gegen die Menschenrechte verstösst und zeigen auf, dass in Eritrea eine repressive Diktatur herrscht, vor der viele schutzbedürftig wären. (Wir haben das bereits einmal zusammengefasst: hier…)
- Interview mit Dr. Fana Asefaw: Ihre Aussage über junge Eritreer*innen, dass diese nicht arbeiten wollen, weil es einfacher sei, ist falsch und pauschalisierend. In der Schweiz ist Arbeit einer der höchsten Werte. Mit den gezeigten herabwürdigenden Aussagen, bietet SRF eine Plattform um Vorurteile zu stärken und gibt rassistische Aussagen in der Öffentlichkeit Raum ohne Gegenrede. Würden Sie so eine Aussage über weisse Schweizer Jugendliche stehen lassen? Selbständigkeit und Arbeit ist für die meisten Eritreer*innen sehr wichtig. Zahlreiche Eritreer*innen gehen schlecht bezahlten und kaum sozialabgesicherten Arbeiten nach (siehe beispielsweise die Anzahl an Uber-Eats oder Uber Personal Transport Fahrer*innen), wobei sie weniger bekommen als wenn sie in der Sozialhilfe wären und gleichzeitig mehr arbeiten müssen. Sie entscheiden sich dafür, weil sie selbstbestimmt leben, sich nützlich fühlen möchten und selbst für ihre Familien sorgen wollen. Es gibt unzählige solche Beispiele von engagierten Menschen. Diese Aussage (ohne Gegenrede) ist ein Schlag ins Gesicht für all diese Menschen.
- Spitex-Szene: Es wird nur gezeigt, dass es ein hoher Aufwand ist, ein Praktikum für Helen Ocbe zu organisieren. Es kommt fast so rüber, als mache man ihr ein Gefallen. Dass aber tausende Eritreer*innen in der Schweiz systemrelevante und schlecht bezahlte Care-Arbeit leisten – wie beispielsweise genau in solchen Pflegeberufen – das wird nicht gezeigt.
- Schludrige Vorbereitung: Eigentlich wäre es einem Journalisten zuzutrauen sich wenigstens die Mühe zu nehmen sich für ihn scheinbar «neue» Namen zu merken. Doch die wenigen Namen die er sagen muss spricht er teilweise falsch aus: «Bumidele» statt «Bamidele», «Asefau» und dann noch «Sefau» statt «Asefaw». Das ist unprofessionell, respektlos und rassistisch. (Auch bekanntere Schwarze Menschen haben damit zu kämpfen. Siehe hier…)