21. August 2019 – Der eritreische Aussenminister Osman Saleh hält in Burgdorf undercover eine Propaganda-Rede. Eritreische Aktivist*innen informieren im Vorfeld die Polizei und die Gemeinde und gehen auf die Strasse. Ihnen wird aber nicht geglaubt. Wir waren vor Ort und haben uns umgehört.
Propaganda und Peitsche
Einmal im Jahr gehen die Minister des eritreischen Regimes auf Propaganda-Tournee an die sogenannten Eritrea-Festivals in der eritreischen Diaspora auf der ganzen Welt. Dieses Mal ist es der eritreische Aussenminister Osman Saleh, der zuerst nach Deutschland geht, wie die TAZ berichtet (hier…), und dann in die Schweiz geschickt wird.
Dem Regime ist es enorm wichtig, der Bevölkerung im Land aber auch der Welt zu zeigen, dass die Autoritäten die volle Zustimmung der Eritreer*innen für ihre Regierungsführung erhalten. Dazu gibt es die Eritrea-Festivals. «Das sind Propaganda-Veranstaltungen, um sich den finanziellen Support durch die 2%-Einkommenssteuer, und die Loyalität der Eritreer*innen im Ausland zu sichern», erklärt Samson Yacob, der Präsident der erfolgreichen Yakil-Bewegung Neuchâtel.
Die Anlässe mit der Botschaft, den vollen Support der Eritreer*innen weltweit zu haben, werden gefilmt und über das Staatsfernsehen EriTV, dem einzigen erlaubten News-Medium des Landes, verbreitet. In Eritrea erreicht das Regime sein Ziel, indem es die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt und damit unter Kontrolle hält:
Zeitgleich mit den Ministerbesuchen in Europa werden zu Hause in Eritrea über zwanzig Krankenhäuser der katholischen Kirche enteignet und zwangsgeräumt. Patient*innen werden aus ihren Betten, die medizinisch ausgebildeten Nonnen aus den Spitälern auf die Strasse geworfen – wie die Vatican News mit Entsetzen feststellen (hier…).
Zeitgleich wird der Zwang zum lebenslangen Nationaldienst unverändert aufrechterhalten – trotz Friedensschluss mit dem Erzfeind Äthiopien vor einem Jahr. (Dies zitiert sogar die NZZ aus dem Bericht der Human Right Watch Organisation (hier…).
Zeitgleich wählen Hunderte von Menschen trotz des Wissens darum, was sie erwartet, lieber die Flucht, als in Eritrea zu bleiben. (Der Infosperber berichtet über routinemässiger Folter und Vergewaltigung in Lybien.)
Widerstand wächst: «Genug ist genug!»
Dieses Jahr stossen die Veranstaltenden vermehrt auf Widerstand: Am 13. August 2019 veröffentlicht das Netzwerk “Reclaim Eritrea” ein Video, welches die eritreische Diaspora dazu aufruft, nicht an den Eritrea-Festivals teilzunehmen:
Dieses Video entsteht im Zuge der Social Media-Bewegung, der sich weltweit Tausende von eritreischen Menschenrechstaktivist*innen unter dem Hashtag #Yakil (#Genug) anschliessen. «Genug der Propaganda! Genug des endlosen Militärdienstes! Genug der Unterdrückung!», rufen sie. Im Stil der Ice-Bucket-Challenge verbreitete sich die Bewegung innert wenigen Wochen über Social Media, erklärt BBC. Berühmte Influencer*innen, Aktivist*innen, Ex-Regierungsmitarbeiter*innen, Verbände sowie Einzelpersonen beteiligten sich an der Kampagne. Mittlerweile wurden in der Schweiz in über sechs Kantonen Regionalgruppen gegründet, um die Kampagne auch offline fortzusetzen.
Diktatur-Propaganda ist erlaubt – gegen das Regime zu demonstrieren nicht
Am Abend des Freitags, 19. Juli 2019, so vermuten wir, kommt der eritreische Aussenminister mit einem Flugzeug aus Frankfurt am Flughafen Genf an. Ohne Aufsehen wird er dort von Mitarbeitenden der eritreischen Botschaft empfangen, übernachtet in Genf fährt am nächsten Tag im Botschaftsauto, begleitet von einem weiteren Auto mit Leibwachen, nach Burgdorf BE.
Dies konnten die Veranstaltenden bis kurz zuvor geheimhalten. Auf dem Flyer des Anlasses, der lange nur in geschlossenen Kreisen kursierte, steht nur, dass «ein hohes Regierungsmitglied» an der Kulturveranstaltung anwesend sein werde. Trotz aller Vorsichtsmassnahmen sickert die brisante Information, dass diese Person Osman Saleh sei, wenige Tage vor der Veranstaltung zu den Aktivist*innen durch.
Viele Eritreer*innen sind empört, dass das eritreische Regime in der Schweiz ungestört politische Propaganda machen darf. Sie beginnen sofort eine Demonstration vorzubereiten. Negasi Sereke, Berner Polit-Influencer und Yakil-Aktivist der ersten Stunde, wirbt mit diversen Live-Videos gegen die Teilnahme am Festival. Weitere Aktivist*innen bringen der Kantonspolizei am 17. Juli 2019 und der Gemeinde Burgdorf am 19. Juli 2019 einen Brief, in welchem sie auf den Auftritt des eritreischen Aussenministers hinweisen und um eine Erlaubnis zu einer Kundgebung ersuchen. Doch die Bewilligung dafür lehnt die Gemeinde ab: Der Antrag sei zu spät eingereicht worden. Zudem wird ihnen nicht geglaubt: «Es ist ein privates Fest, keine politische Veranstaltung. Dagegen kann nicht demonstriert werden», sagt ein Polizeikommandant gemäss Yakil-Aktivist*innen. Sie sind fassungslos: «Die Gemeinde gibt einem der höchsten Minister der eritreischen Diktatur die Möglichkeit, frei seine Propaganda kundzutun. Wir aber dürfen uns nicht mal dagegen versammeln!» Einige Dutzend Aktivist*innen halten am 20. Juli 2019 von 9:00 bis 17:00 Uhr auf einem Parkplatz abseits des Festivals dennoch eine friedliche Kundgebung. Dies, obwohl sie sich damit in Gefahr bringen: Amnesty beweist, dass die Bespitzelung des eritreisches Staates bis in die Schweiz reicht.
Rigat Imfeld Hadish, Mitglied des Eritreischen Oppositionskomitees, gibt Auskunft darüber:
Ein hochrangiger Politiker an einem unpolitischen Anlass
Währenddessen sammelt sich vor der Markthalle in Burgdorf eine Traube von Leuten. Am Eingang des Festivals wird jede*r einzelne Besucher*in von mehreren Personen einer privaten Securitas-Firma bei jedem Eintritt eingehend durchsucht. Drinnen herrscht ein buntes Treiben. Alles erweckt den Anschein, als wäre dies nur ein Fest, an welchem die eritreische Kultur zelebriert wird. Das behaupten auch die Veranstaltenden, die mit dem Eritreischen Konsulat zusammenarbeiten: Das Fest sei politisch neutral…
Der Saal füllt sich mehr und mehr. Ein Besucher berichtet, dass Handys und Kameras streng verboten waren. Überall im Saal verteilt stehen Veranstaltende in Anzügen, die das Publikum aufmerksam im Auge behalten: «Ich fühlte mich konstant beobachtet», berichtet uns ein Zuschauer. Als er mit seinem Handy in der Hand aufsteht, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Sogleich wird ihm eindringlich gesagt, dass Videos und Fotos verboten sind.
Diese Vorsicht ist neu: Früher zeigten eritreische Regierungsbeamte mit Stolz, dass sie frei von Stadt zu Stadt reisen konnten. In der letzten Zeit sind sie vorsichtiger geworden, da viele Eritreer*innen innerhalb und ausserhalb des Landes Widerstand leisten.
Auf Instagram haben wir dennoch ein Foto vom eritreischen Aussenminister in der Markthalle in Burgdorf entdeckt. Osman Saleh auf seiner Propaganda-Veranstaltung in der Schweiz:
Schweizer Politiker*innen sind brüskiert, wie die Rundschau vom 21.08.2019 berichtet (hier…).
Wir auch:
Stellungnahme des Eritreischen Medienbund Schweiz
Wir verurteilen es aufs Schärfste, dass das Eritreische Regime hier in der Schweiz dubiose Propaganda-Auftritte unbehelligt durchführen kann und dass eritreischen Aktivist*innen ihr demokratisches Recht verwehrt wird, eine Kundgebung zu veranstalten.
Diese Veranstaltung beweist: Dem Regime ist nicht zu trauen. Der lange Arm der Diktatur reicht bis in die Schweiz und unterdrückt Eritreer*Innen auch hier. Mit so einer Diktatur dürfen keine Rückführungsabkommen abgeschlossen werden.
Diplomatische Beziehungen zwischen der Schweiz und Eritrea sollen zum Ziel haben, Reformen in Eritrea voranzutreiben und nicht eritreische Geflüchtete in eine willkürliche Diktatur abzuschieben, wo Menschenrechtsverletzungen und Gewalt an der Tagesordnung sind.