GENF, 10.11.2017 – Mehrere hundert Personen aus allen teilen der Schweiz haben sich vor dem Gebäude der Vereinten Nationen versammelt. In der vordersten Reihe der Protestierenden steht er: Jemal Nourahmed aus St. Gallen. Ein Plakat, dass er hochhält bekräftigt: Christen und Muslime – Wir lassen uns nicht spalten! Sie wollen zusammen halten gegen die Unterdrückung des Regimes in Eritrea und gegen dessen «Teile-und-Hersche-Taktik». Sie zeigen sich solidarisch mit den Aufständischen SchülerInnen, die gegen die Verstaatlichung der renommierten Diaa Privat-Schule vor wenigen Tagen in Asmara auf die Strasse gingen (der EMBS berichtete) und überreichten dem Sekretariat des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen eine Bittschrift. Zum ersten mal seit 26 Jahren durchbrachen vor wenigen Tagen in Asmara Teenager die Angst. Für Sie scheint es nichts mehr zu verlieren zu geben. Soldaten schossen in die Luft und es gab duzende Gefangene. Gemäss der Quelle des Journalisten Wim Brummenman verweigerten sich die Soldaten auf die Demonstrierenden zu schiessen.
Jemal Nourahmed war vor 30 Jahren selber Schüler an der renommierten Diaa-Privat Schule. Ihre AbgängerInnen seien die besten StudentInnen in diversen afrikanischen Universitäten. Sie lernen neben Tigrinnisch und Englisch auch Arabisch, haben eine umfassende Bildung in den Naturwissenschaften und lernen den Koran. Für die eritreische Regierung war es einen Schock, dass die Schülerinnen auf die Strassen gingen. Sofort wurde das ganze Akria (das Quartier, in dem die Diaa Schule steht) vom Militär abgeriegelt. Versammlungen wurden verboten. Auch das Beten in der Moschee. (vgl. auch Al Jazeera, Kolumne von Abraham T Zere).
Kurz darauf treffe ich auf Mahir. Auch er verbrachte ab 1996 fünf Jahre als Primarschüler an der Diaa Schule. Sein Bruder hatte dort sein Büro. Mahir erinnert sich gut an die vollbehangenen Wände mit eindrücklichen Kalligrafien. Sein Bruder war nicht nur Kalligraphe sondern auch wissenschaftlicher Illustrator und zeichnete die Körperbilder für den anatomie Unterricht. Heute ist Mahir in der Oppositionsbewegung Al Nahda («Aufstand») hier in der Schweiz. Eine Veränderung in Eritrea kann nur mit einem Aufstand von innen kommen. Und danach brauche es als aller erstes einen fairen Prozess für alle Verbrechen der Regierung gegen die Menschlichkeit, meint er.
Meine Aufmerksamkeit fällt auf eine Gruppe Jugendlicher. Noch einiges jünger sollen die ersten Protestierenden in Asmara gewesen sein. Es ist ein Freundeskreis von 53 Jugendlichen. Sie treffen sich regelmässig, schreiben Texte und machen Videokommentare zu aktuellen Themen und hier an der Demonstration zahlreiche Live-Videos, die innert Stunden mehrere tausende Aufrufe erreichen werden.
Und dann sind da noch die eritreischen Frauen. Ein wenig im Hintergrund haben sie sich getroffen – Musliminnen und Christinnen aus Genf, Basel, Lausanne, Zürich, etc. Sie wollen sich zusammen schliessen, sich treffen und Diskussionen organisieren. Ich komme mit Zewdi ins Gespräch. Die Aufgabe der Mütter sei es, engagierte BürgerInnen zu erziehen, sagt sie. «Eine Frau, muss ihre Rechte kennen. Nur so kann sie sich gegen die Unterdrücker verteidigen. Und nur so sich für die Rechte ihrer Kinder einsetzen.» Die eritreischen Kinder seien alle auch ihre Kinder. Es sei ihre Verantwortung, sie in einem Land aufwachsen zu lassen, welches Menschenrechte hat – «Ja, überhaupt das Recht zu leben!»
Kholood eine junge Frau kommt, nimmt die Fahne der Unabhängigkeit in die Hand und beginnt sie über ihrem Kopf hin und her zu schwenken. Werden es die Jugendlichen und die Frauen sein, die hier und in Eritrea eine Veränderung bewirken können?