“Als das Saallicht ausging, ging das Bühnenlicht an und wir wurden strahlend begrüsst – auf Tigrinya. Willkommen, Eritreerinnen und Eritreer, sagte der Moderator. Und gleichzeitig war klar: Die, die nur Deutsch verstehen, sind genauso herzlich willkommen – das Moderationsduo war zweisprachig. Fraglos: Für eine Veränderung der Asylpraxis Eritrea braucht es alle!”
– Hanna Gerig, Geschäftsleiterin Solinetz
Moderationsteam Abdulhadi Abdallah und Christian Fischer
Foto ©Sara Furrer
Am 28. Oktober 2019 fand unsere Veranstaltung “Asylentscheid Negativ! Perspektive Eritrea?” im Karl der Grossen statt. Dabei informierten wir Menschen über das Thema der negativen Asylentscheide und deren Folgen und boten eine Plattform für Fragen, Diskussion und Lösungsansätze.
Mehr als 140 Personen reisten von Lausanne bis St. Gallen nach Zürich an den Event. Darunter waren sowohl Betroffene, Vertreter*innen von Organisationen, die selber in diesem Bereich arbeiten, als auch Personen, die noch fast nichts über die Situation in der Schweiz oder Eritrea wussten.
“Ein sehr gelungener Anlass mit so vielen eritreischen Betroffenen und ihren vielfältigen Verbündeten, zusammen in einem bunten, gleichberechtigten Dialog. So soll das Leben sein: Gelebte Solidarität und Partizipation! (…) Gemeinsam konnten wir uns an diesem Abend eine Schweiz vorstellen, die weniger negativ gerichtet wird und mehr Perspektive anbietet.”
– Ron Halbright, Geschäftsleiter NCBI Schweiz
Asylpraxisverschärfung
Eritreer*innen werden durch einen negativen Asylentscheid aus Schule, Lehre und Alltag gerissen mit der Aufforderung, die Schweiz zu verlassen. Seit dem Jahr 2016 wurde die Asylpraxis bezüglich Eritrea laufend verschärft (EMBS berichtet 2016 hier und 2017 hier.) Eine Rückkehr galt seitdem nicht mehr in allen Fällen als unzumutbar; dies führte dazu, dass 3000 vorläufige Aufnahmen überprüft werden und Eritreer*innen vermehrt negative Asylentscheide erhalten, auch wenn sie schon seit vielen Jahren in der Schweiz leben. Zurück in das diktatorische, unberechenbare Regime Eritreas können sie nicht. Das Regime nimmt nur freiwillige Rückkehrer*innen zurück. Das heisst Personen, die sich verpflichten einen “Reue-Brief” zu unterschreiben, mit dem sie sich unter anderem verpflichten, eine unbestimmte Strafe auf sich zu nehmen. Das nimmt kaum jemand auf sich.
Trotzdem verlieren sie fast alle Perspektiven in der Schweiz. Sie landen in der unmenschlichen Nothilfe oder tauchen unter.
Experte taucht wegen Verweigerung der Nothilfe unter
Nur ein paar Tage vor der Veranstaltung wurde uns erneut schmerzlich vor Augen geführt, welch schlimme Folgen ein negativer Entscheid haben kann: Einem unserer Experten wurde nicht nur das Asyl, sondern auch die Nothilfe verweigert (Luzerner Zeitung berichtete hier). Ein paar Tage vor unserer Veranstaltung verschwand er spurlos, “tauchte unter” – nur um irgendwann zum Dublin-Fall zu werden, der zurück in die Schweiz geschafft und hier wieder in derselben, hoffnungslosen Lage stecken wird. Noch dazu hat er somit auch keine Chancen für ein Härtefallgesuch mehr.
Kurzvorträge
Den ersten Kurzvortrag hielt der Informationschef des Staatssekretariats für Migration (SEM), Daniel Bach. Er gab mit Statistiken einen Überblick über ihre Asyl- und Rückkehrpraxis in Bezug zu Eritrea.
Er erklärte, dass bis 2016 illegal ausgereiste Eritreer/innen eine vorläufige Aufnahme als Flüchtlinge erhielten, wegen Unzulässigkeit der Wegweisung. Seither führt die illegale Ausreise allein nicht zur Anerkennung als Flüchtling. Seit 2018 ist eine Rückkehr auch dann zulässig, wenn jemand zum Nationaldienst aufgeboten werden könnte.
Deshalb werden 3000 vorläufige Aufnahmen geprüft. 2018 wurden 250 vorläufige Aufnahmen überprüft und 14 rechtskräftige Aufhebungen ergeben. Zu den restlichen 2750 wurden noch keine Zahlen genannt. Ausserdem befinden sich 683 Personen aus Eritrea zurzeit in der Nothilfe.
In seinem Vortrag zur politischen Situation in Eritrea erzählte Yonas Gebrehiwet, Co-Präsident des Eritreischen Medienbunds, von der wachsenden Repression seit der Beginn der Diktatur 1991 – keine Pressefreiheit, Massenüberwachung, Verhaftungen. Folter und Verbrechen gehören zur Normalität. Und natürlich erzählte er vom Nationaldienst und Sawa, den viele mit Sklaverei vergleichen.
“Was kann man dann noch tun, wenn man nicht mehr planen kann?”
Fiori Birhane berührte alle mit ihrer Rede: “Zwei Jahre habe ich auf Sicherheit gewartet. Ich habe mir ein Leben aufgebaut. Ich hatte ein Praktikum erhalten mit Aussicht auf eine Lehrstelle. Und nach diesen zwei Jahren Warten erhalte ich einen negativen Asyl-Entscheid,” sprach sie. “Ich hatte kein Recht mehr, hier als Mensch zu sein. Ein Schock. Plötzlich ist alles blockiert. Man denkt, es ist das Ende des Lebens. Was kann man dann noch tun, wenn man nicht mehr planen kann?”
Foto ©Ana Scheu
Intimer Austausch am “Meet the Expert”
«Die kleineren Fokusgruppen animierten zu einem intimeren Austausch. Ich konnte Fragen stellen, die ich sonst in einem Plenum selten wage. Egal ob man ein Profi der schweizerischen Asylpolitik oder einfach eine interessierte, neugierige Person war; jede*r war willkommen und jede Frage war erlaubt.» Gabrielle Brändli, Online Marketing Manager Helvetas
Über 20 Expert*innen des Alltags aus Eritrea und der Schweiz berichteten aus erster Hand am vielfältigen und persönlichen «meet the experts».
In intimen 4-5er Gruppen konnte man diesen Personen in drei Durchgängen an je 20 Minuten Fragen stellen. Unter den Expert*innen waren Betroffene, die selber Negativentscheide erhalten hatten, Aktivist*innen aus Eritrea und der Schweiz, Expert*innen aus Eritrea, die über die Situation im Lande Bescheid wissen, eine Expertin zur Situation der Frauen in Eritrea, ein Vertreter der Behörden, und viele mehr.
Besucher*innen waren berührt und begeistert:
“Eines der Gespräche war vom Schicksal eines jungen Eritreers geprägt, der am selben Tag einen Negativentscheid erhalten hatte. Von einer Mithörerin kam der Tipp, ein Härtefallgesuch zu stellen. In der Gruppe wurde gleich besprochen, wie und wer ihm zur Hilfe stehen könnte.”
“Berührt hat mich die starke und entschiedene Ausstrahlung von Rigat Hadish.”
“Obwohl ich die Situation in den Ausschaffungszentren kenne, hat mich die Begegnung mit den drei jungen Leuten extrem beeindruckt. Dass solche Situationen in unserer Schweiz gesetzlich möglich sind, finde ich menschenunwürdig und unbegreiflich.”
“Ich bin erschrocken, als ich hörte, wie das Leben auf der Nothilfe ist – dass man keinen Ausweis mehr hat und wie in einem Gefängnis lebt.”
Fotos ©Sara Furrer
Open Space bietet Plattform für die Vernetzung einer Petition
Während des Open Space wurden frei verschiedene Themen und Fragen gesammelt, zu denen ein Austausch in Gruppen erwünscht war. Es gab kleine Gruppen zu den Themen Vernetzung, Notunterkunfthelfer*innen, Leben in der Nothilfe/Perspektive nach einem Asylentscheid und Eritrean Women Empowerment.
Aus der Gruppe Vernetzung entstand ein schweizweites Netzwerk von Organisationen und Einzelpersonen, die zusammen eine Petition unterstützen und in Zukunft enger Zusammenarbeiten wollen. Dem kann man sich gerne anschliessen.
Foto ©Ana Scheu
In der Endrunde machte unsere Mediensprecherin Rahel Dawit den Anfang: “Ich bin inspiriert – so viele Menschen aus beiden Gesellschaften waren da. Ich bin echt überrascht. Ich bin dankbar für Lösungen und Unterstützung. Danke!”
Mihreteab: «Ich bin zum ersten Mal hier. Wir Menschen sind stark. Wir haben Potential. Wir haben über die 16 Jährige Klimaaktivistin in Schweden geredet: Sie hat viele Sachen geschafft und das Bewusstsein in die Politik geholt. Wenn sie das schafft, diese Bewegung zu verursachen, dann schaffen wir das auch.»
Es geht weiter!
Die Dringlichkeit, die wir an diesem Abend gespürt und gehört haben, motiviert uns stark und gibt uns Kraft, weiterzumachen. Jetzt geht es für uns darum, dieses Erfolgskonzept zu vervielfältigen.
Zurzeit vernetzen wir uns intensiv mit Organisationen und Gruppen, die sich momentan mit diesem Thema beschäftigen. Wir suchen nach Projektpartnern und Orten, an denen wir diese Veranstaltung in einem grösseren oder auch kleineren Rahmen durchführen können.
Meldet euch gerne, falls ihr Interesse an einer Kollaboration, Ideen oder Kontakte habt. Wir freuen uns über Spenden.
Foto ©Ana Scheu
“Am Schluss des Abends sprach ich mit einem Freund aus Eritrea. Er sagte mir, dass dieser Abend ihm aus dem Herzen gesprochen habe – und das sehe ich genauso.” -Seline S